Interview mit Martin Moritz

Martin Moritz war 30 Jahre lang gemeinsam mit Stefan Bockemühl Geschäftsführer von El Puente. Unmittelbar nach dem Studium begann er, das Fairhandels-Unternehmen gemeinschaftlich zu leiten. Und das ist es auch, was die Jahrzehnte prägte: Das gemeinschaftliche Arbeiten mit dem Team in guten wie auch herausfordernden Zeiten.
Martin, was für fair gehandelte Produkte stehen bei Dir zu Hause?
Welche fair gehandelten Produkte bei mir zu Hause stehen?! Ich dachte, ich sollte mich kurzfassen (lacht). Das sind Kaffee, Kekse, Zucker, Eis, Produkte des täglichen Bedarfs, soweit möglich. Natürlich auch schöne Dinge, von Tischchen angefangen, bis hin zu Decken, Schals, mit denen wir uns als Familie versorgen. Mein Favorit ist aber der El Salvador Kaffee. Außerdem komme ich nicht drumherum, mich fast täglich an den E&P’s zu bedienen.
Die E&P’s hast Du ja bei uns initiiert. Wie bist du auf die Idee gekommen?
Zunächst ist es einfach: Man hat verschiedene Produkte gekauft und gemerkt, da sind Erdnüsse drin, da ist Schokolade drin, das haben wir auch. Dann ging es darum, einen Partner für die Verarbeitung zu finden. Heutzutage würde man eher versuchen, die E&P’s vom Produzenten aus dem Ursprungsland zu bekommen, aber das war damals noch nicht so ein Thema. Wir haben schließlich einen Partner gefunden und konnten die Produktion nach kurzer Zeit auf Bio-Qualität umstellen. So kam es zu dieser kleinen Erfolgsgeschichte.
Ein anderes Erfolgsbeispiel war und ist Malban. Kannst Du die Geschichte dahinter erzählen?
Das ist eine Überraschungsgeschichte. Es war zu Beginn der 2000er Jahre mit dem Weltgebetstag im Libanon. Damals war ein ehemaliger Partner von uns auf einer Bestellung eines anderen Importeurs sitzen geblieben. Wir wollten helfen und kauften den Malban. Orientalische Süßigkeiten, das war für uns Neuland. Es gab eine breite Aufmerksamkeit für dieses Produkt und es wurde zum Verkaufsschlager. Wir haben bis 2010 gut zusammengearbeitet, dann gab es leider bei manchen Zutaten anhaltende Qualitätsprobleme, so dass wir das Produkt schlussendlich leider aus dem Sortiment nehmen mussten. Fast acht Jahre später hat unser jetziger Partner Fair Trade Libanon diese Idee wieder aufgegriffen. Es hat mich persönlich sehr gefreut, dass wir den Verkauf von fairem Malban fortsetzen können.
Zum Rückblick auf die Geschichte: Kannst Du Dich an Deinen allerersten Besuch in einem Weltladen erinnern?
Ich habe im Weltladen Kassel Zivildienst gemacht, das war gewissermaßen der erste Weltladen. Ich hatte in meiner Jugend auch schon bei einer Aktionsgruppe mitgearbeitet. Und dann besuchte ich noch vor meinem Vorstellungsgespräch bei El Puente den Laden in Goslar und natürlich den Hildesheimer Weltladen in der Osterstraße damals. Es war immer ein vertrautes Gefühl, sobald ich einen Weltladen betreten habe.
Und wenn Du die Weltläden damals und heute anguckst, was hat sich da verändert?
Es hat sich bei Weltläden in meiner Wahrnehmung von den Anfängen bis heute unglaublich viel verändert. Die Konstante ist das Interesse am Wohl der Produzent*innen. Dass diese bestmöglich von der Arbeit profitieren können. Und die Öffentlichkeitsarbeit, die das Bewusstsein auf eine Veränderung der wirtschaftlichen Strukturen lenkt. Was sich hingegen stark verändert hat, ist die Wahrnehmung, dass die Produkte auch wirklich Interesse der Kundschaft wecken müssen. Ich bin stolz darauf, dazu beigetragen zu haben, das zu vereinen, was früher als Widerspruch galt: modische und moderne Produkte im Fairen Handel zu verkaufen. Da gab es immer das Argument, dass es doch um den/die Produzent*in geht. Natürlich geht es darum. Aber die Produzent*innen haben natürlich auch das Interesse, den Geschmack der Kund*innen zu treffen. Das hat sich weiterentwickelt und beides zu verbinden ist eine super Sache.
Bereits in jungen Jahren hast Du begonnen, Dich für den Fairen Handel zu engagieren. Gab es da eine Art Initialzündung?
Meine ersten Kontakte zum Fairen Handel kamen durch die Jugendarbeit. Unser Pastor war engagiert in der Einen-Welt-Arbeit. Ich kann mich noch an 1977 erinnern, als wir auf den Kirchentag gefahren sind und einen Eine-Welt-Stand gemacht haben. Das war so eine Initialzündung, und dann ging es weiter.
Wie bist Du dann zu El Puente gekommen?
Als El Puente 1989 einen zweiten Geschäftsführer suchte. Durch die Kombination, dass ich im Weltladen Zivildienst gemacht und zudem Ökonomie studiert hatte, wurde ich angefragt. Das war kurz nach dem Studium. Es stand natürlich die Frage im Raum, ob ich zu jung bin usw. Das war natürlich nicht so. Sowas denkt man immer. Vielmehr ist ja aktuell wieder zu erkennen, dass meine jungen Nachfolgerinnen und Nachfolger eine hervorragende Arbeit machen.
Hattest Du eine bestimmte Vision für die Zukunft als Du bei El Puente angefangen hast?
Meine Vision war entsprechend der Zielsetzung, den Fairen Handel im Prinzip allen Menschen hierzulande nahe zu bringen. Auch eine Veränderung der wirtschaftlichen Situation der Partner in Übersee zu bewirken. Und das mit Partnern hierzulande umzusetzen, die sich am besten dazu eignen, nämlich die Weltläden. Das war eine recht frische Entscheidung damals und es hat sich bewährt. In dieser engen Verbindung haben wir auch darum gerungen, wie man noch mehr Menschen erreichen kann. Das war meine Vision und leitend für all die Jahre.
Wagen wir einen Blick in die Glaskugel, 50 Jahre weitergedacht, was denkst Du, wo könnte der Faire Handel stehen?
Dieses Jahr, und das muss ich vorwegschicken, ist wegweisend für den Ausblick. Derzeit prägt uns der unsägliche Krieg in der Ukraine. Es macht hilflos, wenn man sieht, man kann nicht adäquat darauf reagieren. Und es führt uns vor Augen, wie existenziell ein faires Miteinander ist. Es ist also die existenzielle Lebensgrundlage, für die El Puente arbeitet. Es geht nicht nur um mehr Geld für den fairen Kaffee. Es geht um den fairen Umgang aller Menschen. Das beginnt immer bei uns selber. Besonders zeigt es sich in einem fairen Umgang miteinander bei unterschiedlichen Interessen der Beteiligten. Das merken wir in unserer täglichen Arbeit, dass Menschen unterschiedlich sind. Andere Kulturen, Diversität, unterschiedliche Interessen, Missverständnisse; das auszuhalten, das geht nur gemeinschaftlich. Indem alle Menschen im Kleinen, in einer partnerschaftlichen Art und Weise ihre Handelsbeziehungen, die Beziehungen überhaupt handhaben.
Rückblickend, was hat Dich in Deinen 30 Jahren bei El Puente besonders geprägt?
In 50 Jahren, persönlich in 30 Jahren, gab es natürlich vielfältige Herausforderungen. Was mir in meiner Rolle als Geschäftsführer immer wieder und nachhaltig in Erinnerung geblieben ist, was mich geradezu beseelt, war, wie wir bei El Puente mit Krisen umgehen konnten. Nämlich getragen davon, dass wir eine breite Eigentümerschaft haben. Einschließlich unserer Handelspartner, der Belegschaft, der Kundschaft und den Gründer*innen. Alle zusammen stehen für El Puente. Damit haben wir Krisen und Veränderungen bewältigt. Ich denke da an 1999, als wir eine große finanzielle Krise hatten. Wir saßen alle am Tisch, mit all den unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen. Man hat sich zusammengerauft und ein Konzept entwickelt und das hat getragen. Das ist ein starkes Erlebnis und steht für das gemeinschaftliche Meistern von Herausforderungen.
Vielen Dank Martin Moritz!