Interview mit Moon Sharma

Moon Sharma ist nicht nur Geschäftsführerin der Fairhandels- Organisation Tara aus Indien. Sie ist auch Teil der Gesellschaftergruppe PaCo von El Puente und in den Netzwerken des Fairen Handels, wie der WFTO, engagiert.
Liebe Moon, kannst Du uns etwas zur Arbeit von Tara erzählen?
Tara ist eine Fair Trade Organisation mit dem Sitz im indischen Delhi. Seit mehr als vier Jahrzehnten schafft Tara bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für benachteiligte Kunsthandwerker*innen und andere benachteiligte Gruppen – und das alles auf der Basis des Fairen Handels. Durch diese Arbeit können wir das Leben von mehr als 5.000 Kunsthandwerker*innenfamilien verbessern. Dabei haben wir zumeist den Schwerpunkt unserer Arbeit auf der Unterstützung von Frauen und anderen benachteiligten Gruppen.
Tara vertreibt ein großes Kunsthandwerkssortiment mit Produkten wie Schmuck und Mode-Accessoires, die vor allem aus natürlichen Rohstoffen hergestellt werden. Tara unterstützt nicht nur die Produzent*innen durch den Handel, sondern leistet auch viel wichtige Arbeit für die Gemeinschaft, zum Beispiel in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Fortbildungen, Gleichberechtigung und Umweltschutz. Damit setzt sich Tara gegen Armut ein, um den Menschen so ein Leben in Würde und mit einem fairen Einkommen zu ermöglichen. Tara ist zudem sehr engagiert in der Nothilfe, wie sich besonders während der weltweiten Corona-Pandemie gezeigt hat. Durch Lebensmittelspenden, Gesundheitsangebote und finanzielle Unterstützung konnten wir mehr als 25.000 Menschen in den Gemeinden helfen. Und die Arbeit geht weiter.
Kannst Du uns mehr über die Kunsthandwerker*innen erzählen, mit denen ihr arbeitet? Über ihr tägliches Leben, ihre Träume und Sorgen?
Wir arbeiten mit zahlreichen Kunsthandwerker*innen im Norden von Indien zusammen. Die meisten von ihnen gehören benachteiligen Gesellschaftsgruppen an, viele von ihnen sind Frauen oder Migrant*innen. Wir arbeiten auch viel mit Menschen zusammen, die die ländlichen Regionen verlassen haben und in den großen Städten ihr Glück gesucht haben. Meistens leben diese dann in den großen Slums der Städte. Die Kunsthandwerker*innen und Weber*innen arbeiteten zumeist im informellen Sektor. Ihr Leben ist bestimmt von Unsicherheiten und Unwegbarkeiten, weil ihnen die reguläre Arbeit fehlt, sie keine Unterstützung in der Weiterentwicklung oder bei Designfragen bekommen. Sie arbeiten dort unter schlechten Bedingungen und erhalten keinen fairen Preis für ihre Arbeit.
Wir arbeiten also mit Produzent*innen, die Unterstützung benötigen und die zuvor in ihrer Arbeit oftmals ausgebeutet wurden. Viele von ihnen hatten zuvor kaum die Möglichkeiten, ihre Familien zu versorgen, die oftmals sehr groß sind und aus sieben bis acht Personen bestehen. Ihre Kinder konnten nicht zur Schule gehen und das ganze Leben war eine große Herausforderung für sie.
Tara hilft diesen Menschen, indem wir Trainings und Weiterbildungen anbieten. Außerdem bieten wir ihnen einen Marktzugang mit der Hilfe anderer Fair Trade Organisationen. Durch diese Zusammenarbeit, ist den Produzent*innen der Wert ihrer Arbeit, die Wichtigkeit von guten Arbeitsbedingungen und fairem Einkommen immer bewusster geworden. In den Werkstätten von Tara arbeiten sie unter deutlich besseren Bedingungen. Sie konnten ihre handwerklichen Fähigkeiten weiter verbessern und erfuhren mehr über die Wichtigkeit von Design und Qualität. Auf diese Weise, sind sie in eine aktivere Rolle gekommen. Durch weitere Programme von Tara können wir die Menschen für Gesundheits- und Hygienethemen sensibilisieren. Die meisten Kinder können nun zur Schule gehen, die Kinder lernen Yoga und die Mädchen werden zudem in Selbstverteidigung unterrichtet.
Ein Beispiel einer jungen Kunsthandwerkerin aus dem Dorf Khivai im Bundesstaat Uttar Pradesh zeigt diese Entwicklung besonders deutlich. Als sie zu Tara kam, war ihr Leben extrem schwierig. Ihr Ehemann hat sie und ihre drei Kinder verlassen. Mit der Hilfe von Tara, schaffte sie es, wieder Kontrolle über ihr Leben zu erlangen. Gemeinsam mit Frauen, die sich in einer ähnlichen Situation befanden, startete sie eine Kunsthandwerkerinnengruppe. Sie verbesserten ihre handwerklichen Fähigkeiten, bekamen mehr Aufträge, erhielten ein besseres Einkommen und somit auch mehr Mut und Selbstvertrauen. Sie selbst konnte nie eine Schule besuchen, aber ihre Kinder können dies heute. Zudem hilft sie mehr Frauen aus ihrem Dorf. Die Frauen haben kein leichtes Leben, auch aufgrund der Stellung der Frau in ihrem Umfeld. Aber sie verfolgen stets ihren Traum, ihren Kindern, insbesondere ihren Töchtern, durch eine gute Bildung ein besseres Leben zu ermöglichen.
Wie genau profitieren die Produzent*innen vom Fairen Handel?
Der Faire Handel bringt das dringend benötigte Selbstbewusstsein in ihr Leben. Sie wissen nun von ihren Rechten und können sich dafür einsetzen. Die Fairhandels-Familie beruht auf bestimmten Werten: Langfristige Beziehungen auf Augenhöhe, Vertrauen, Respekt und Transparenz. Alles unter dem Dach der Fairhandelsprinzipien. Im Fairen Handel sind die Produzent*innen wichtiger als das Produkt selbst. Sie erfahren das und werden ermuntert, sich aktiv einzubringen und mitzuentscheiden. Sie bekommen einen besseren Lohn als im konventionellen Handel. Sie verbessern ihre Fähigkeiten. Ihre Kinder können zur Schule gehen, sie bekommen Unterstützung im Bereich der Gesundheit und Mikro-Kredite. Sie erhalten Informationen zum Umweltschutz. Gleichberechtigung wird im Fairen Handel gelebt. Tara unterstützt Frauen darin, Führungspositionen einzunehmen, auch wenn dies im Kontext der Gesellschaft sehr herausfordernd ist. Es ist ein langer Weg, aber wir arbeiten daran, dass immer mehr Menschen vom Fairen Handel profitieren und ihnen ein besseres Leben ermöglicht.
Du kennst Deutschland ziemlich gut, nicht zuletzt weil Du als Referentin im Rahmen der Fairen Woche die Bundesrepublik bereist hast. Was ist Dir besonders in Erinnerung geblieben?
Ich bin sehr dankbar, dass El Puente mir die Möglichkeit gegeben hat, Deutschland während der Fairen Woche zu besuchen. Ich konnte viele Menschen aus dem Fairen Handel kennenlernen, die verantwortungsvollen Kund*innen und die vielen Ehrenamtlichen, die in den Weltläden arbeiten. Es war eine so bereichernde Erfahrung. Die Faire Woche hat mir eine Plattform gegeben. Ich konnte viele unterschiedliche Städte und Weltläden kennenlernen. Beeindruckt haben mich besonders die ehrenamtlich Engagierten. Sie arbeiten so hart und mit so viel Leidenschaft daran, unsere Produkte zu verkaufen und dem Fairen Handel in Deutschland eine Stimme zu geben. Sie arbeiten ganz selbstlos für ein höheres Ziel, für Menschenwürde und Gerechtigkeit. Mein größter Respekt gilt all diesen Menschen! Für mich sind sie das Rückgrat der Fairhandelsbewegung. Wir sind so dankbar für ihre wertvolle Arbeit. Ich war auch beeindruckt vom Enthusiasmus des El Puente Teams. Es ist die erste und einzige Organisation, die ich kenne, die durch die Vereinigung PaCo als Gesellschaftergruppe auch die Handelspartner zu einem festen Bestandteil des Unternehmens gemacht hat. Es ist eine tolles Beispiel für echte Mitbestimmung.
Vielen Dank Moon Sharma!