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Interview mit Richard Bruns

Richard neu

Richard Bruns hat vor 50 Jahren El Puente mitgegründet. Seitdem engagiert er sich mit einer immensen Energie für den Fairen Handel, ob im Verein oder lange Zeit als Aufsichtsratsvorsitzender der El Puente GmbH. Die Ideen und Leitgedanken des 77-Jährigen haben die Richtung von El Puente entscheidend  geprägt.

Hier findet Ihr das Interview mit Richard als Video.

Fangen wir ganz von vorne an. Richard, Du hast El Puente mitgegründet. Wie hat die Geschichte von El Puente angefangen?

Die hat schon vor 53 Jahren begonnen. Es gab einen ökumenischen Jugendkongress in Hannover im Jahr 1968. Hier haben sich die evangelischen und katholischen Jugendlichen landesweit getroffen, um über Gerechtigkeit zu diskutieren. Ich war damals Dekanatsführer der katholischen Jugend im Dekanat Dinklar. Wir haben mit über 40 Jugendlichen  daran teilgenommen und uns auf der Rückfahrt gefragt, war´s das? Für uns war klar, wir müssen etwas tun. Daraufhin haben wir eine Seminarreihe entwickelt, im Frühjahr 1969, über fünf Abende. An diesen fünf Abenden kamen insgesamt 280 Jugendliche. Und der letzte Abend stand unter der Frage „Problem der Entwicklungsländer? Was können wir tun?“

Mit dabei war ein Missionsbruder aus Paraguay auf Heimaturlaub, der hat über seine Arbeit in Paraguay berichtet. Wir waren so fasziniert und begeistert, dass wir spontan den ökumenischen Arbeitskreis Entwicklungshilfe gegründet haben, genauer gesagt am 23. Juni 1969. Das ist unser eigentliches Geburtsdatum. Aus rechtlichen Gründen haben wir  drei Jahre später den Verein El Puente gegründet, wir wollten eine Brücke der Partnerschaft sein. Dies war logischerweise wieder am 23. Juni 1972 im Pfarrheim der  Nordstadtgemeinde St. Johann.

Dazu habe ich noch eine kleine Anekdote: Wir haben die ersten Aktionen durchgeführt und mit Altkleidersammlungen begonnen, um die Missionsstation zu unterstützen. Bei der Vorbereitung dazu hat eine junge Dame, die Sprachtherapeutin bei der AWO in Bad Salzdetfurth war, einen von uns ausgelegten  Altkleidersack gefunden. Sie hat angerufen und gefragt, ob sie mitarbeiten könne. Darauf hin ist sie zu einer unserer Veranstaltungen gekommen. Und daraus ist dann Liebe geworden. Inzwischen sind wir fast 47 Jahre verheiratet, haben zwei Töchter und drei Enkel. Das heißt, der Altkleidersack war unser Heiratsvermittler. (lacht)

Wann und wie habt Ihr Eure ersten Produkte importiert?

Das war Versuch und Irrtum. Ich bin 1970 Lehrer geworden, vorher war ich noch Studierender in Braunschweig. Mit meinem ersten Lehrergehalt habe ich meine Flugreise nach Paraguay finanziert. Dort haben wir festgestellt, dass die Leute fantastische Produkte herstellen. Zunächst importierten wir Lederprodukte, also Schultaschen und Rucksäcke. Diese Dinge kamen sehr gut an.

Dann haben wir aber erfahren, dass es in Holland, direkt an der Grenze zu Deutschland, eine Organisation mit dem Namen Stichting SOS gibt, die schon länger fair gehandelte Produkte importiert. Gemeinsam mit meinem Freund Klaus Möller bin ich dort hingefahren und habe in der Adventszeit 1971 aus Holland die ersten fair gehandelten Produkte geholt. Diese verkauften wir in einem Jugendraum der evangelischen Lamberti Gemeinde am Neustädter Markt an den Samstagen im Advent. Wir haben fast alle Produkte verkauft. Das hat uns ermuntert, in den nächsten beiden Jahren, jeweils in der Adventszeit eine Eisdiele anzumieten und vier Wochen unsere Produkte zu verkaufen. Damit haben wir nachweisbar die ersten fair gehandelten Produkte in Norddeutschland verkauft. Diese Produkte wurden uns aus den Händen gerissen, das war unwahrscheinlich erfolgreich.

So wagten wir den Schritt und eröffneten einen eigenen Weltladen. Damals gab es aber den Begriff Weltladen noch nicht. Wir nannten uns Lateinamerika-Markt, weil wir unsere Produkte von dort bezogen haben. So haben wir dann am 22. Juni 1974 den Laden in der Osterstraße 10 eröffnet. Am Montag stand ein riesen Artikel über uns in der Zeitung,  zusammen mit einem tollen Bild. Dieses zeigte drei junge Damen in ihrer typischen Tracht, die barfuß vor unserem Laden getanzt haben. Darunter unsere jetzige  Vereinsvorsitzende, Rosita Jung-Concha, eine gebürtige Chilenin. Das Bild und der Artikel waren die beste Werbung für uns. Es hängt übrigens heute noch im Weltladen.

Dein Leitgedanke war immer: „Seid Ihr Jugend Lobby für die Dritte Welt“. Welche Geschichte steht dahinter?

Das war 1968 auf dem ökumenischen Jugendkongress. Der damalige Entwicklungshilfeminister Erhard Eppler war vor Ort. Wir Jugendlichen haben ihn damals zur Rede gestellt.  Aus unserer Sicht tat die Bundesregierung zu wenig für die Länder der Dritten Welt. Er hat uns recht gegeben und hinzugefügt: „Wir Politiker sind nur so stark, wie der Wählerwille, der uns trägt. Seid Ihr Jugend Lobby für die Dritte Welt.“ Das ist zum Leitwort meines Lebens geworden. Uns geht es mittlerweile so gut hier in Deutschland. Die  Deutschen haben den furchtbaren zweiten Weltkrieg angefangen und Unheil über die Welt gebracht. Jetzt geht es uns gut, wir leben in Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Diese  Gerechtigkeit müssen wir anderen weitergeben.

Damals wart Ihr eine große Jugendbewegung, die für Gerechtigkeit in der Welt eingetreten ist. Siehst Du Parallelen zu anderen Jugendbewegungen heute?

Ich bin auch Mitbegründer der Grünen in Deutschland. Als wir unser 40-jähriges Bestehen Anfang Januar 2020 in Berlin gefeiert haben, fand genau an dem Tag auch eine große Demonstration von Fridays for Future statt. Die Gründerin Greta Thunberg war auch dabei. Es sind Tausende von Jugendlichen durch die Straßen von Berlin gelaufen. Ich habe mich genau daran erinnert gefühlt, als wir angefangen haben, noch in der kirchlichen Jugendarbeit, 1969/1970, Friedens- und Hungermärsche auch in Hildesheim zu organisieren. Mir ist der Gedanke gekommen, dass meine Generation irgendwo versagt hat. Sie ist abgetaucht, hat im Wohlstand gelebt. Jetzt gibt es wieder junge Menschen, die  auf die Straße gehen. Ich muss ehrlich sagen, ich habe mich so wohl gefühlt. Ich habe mich 40 Jahre zurückversetzt gefühlt und mich gefreut, dass diese jungen Menschen jetzt das Heft in die Hand nehmen. Die Jugend wird aktiv, jetzt für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit, wir damals für den Fairen Handel und Gerechtigkeit. Toll! Ich bin in dem Moment 40 Jahre jünger geworden. Mit Schmunzeln und mit viel Freude.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft, was denkst Du, 50 Jahre weiter, wo steht der Faire Handel?

Das ist eine große Frage. Mit dem Fairen Handel können wir unseren Partnerinnen und Partnern, angemessene und gerechte Preise zahlen, sodass sie ihre Familien versorgen können, dass ihre Kinder die Schule besuchen können, dass sie Gesundheitsvorsorge betreiben können. Damit ist unsere Arbeit auch Friedensarbeit. Wir haben zur Zeit diesen  unsäglichen Krieg in der Ukraine. Wenn wir weiterhin diesen Lebensstil halten und die Menschen weiter ausnutzen, wird es keine Gerechtigkeit und keinen dauerhaften Frieden geben können. Deshalb begegnen wir den Menschen auf Augenhöhe, nehmen sie ernst, als Partnerinnen und Partner, ihre Arbeit, ihre kulturellen Werte, wir bezahlen sie angemessen. So können die Menschen auch in ihren Ländern bleiben. Dann haben die Jugendlichen eine Zukunft und eine Perspektive. Sie können in ihren Dörfern bleiben. Sie müssen nicht in die Slumstädte ziehen oder sich gar als Flüchtlinge in die Gefahr begeben im Mittelmeer zu ertrinken. Das ist die beste Entwicklungs- und Friedensarbeit und ich hoffe, dass immer mehr Menschen bewusst wird, dass wir Vorsorge betreiben müssen. Am Fairen Handel geht nichts vorbei. Fairer Handel ist die beste Friedensarbeit, die man sich vorstellen kann.

Was war Deine Motivation Dich über all die vielen Jahre ehrenamtlich so stark zu engagieren?

Die Grundlage ist bei mir der christliche Glaube. Ich bin in einem einfachen katholischen Elternhaus aufgewachsen. Für meine Familie war es selbstverständlich, dass wir zur Kirche gingen, das war kein Zwang, ich bin gerne hingegangen. In der katholischen Jugendarbeit war ich später in der Dekanats- und Diözesanführung der katholischen Jugend im Bistum Hildesheim. Hier habe ich erlebt, dass wir als Jugendliche eine ganze Menge gestalten können. Meine Eltern mussten jeden Pfennig umdrehen, damit mein ältester Bruder und ich ein Gymnasium besuchen können, als Kinder aus dem Arbeiterhaushalt. Ich habe mir nie vorstellen können, dass es mir mal wirtschaftlich so gut gehen würde, denn ich wurde später Lehrer und dann auch Schulleiter. Um’s Geld musste ich mir nie mehr Sorgen machen. Dann muss man auch bereit sein und Verantwortung tragen.

Ich behaupte nach wie vor, der Wohlstand hier in Deutschland, in Europa und Nordamerika usw. basiert auch heute noch auf den ungerechten Handelsstrukturen zulasten der Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Ich bin jetzt fast 77 Jahre, aber ich fühle mich im Herzen immer noch jung. Das Engagement hat mich auch jung gehalten. Wir  haben gemeinsam mit vielen Jugendlichen und später mit Erwachsenen Verantwortung übernommen. Menschen sind nicht nur träge und faul, sie wollen sich engagieren. Ich bereue es nicht, dass wir diesen Weg gegangen sind und ich glaube, ich kann rückblickend sagen, wir haben diese Welt ein klein bisschen menschlicher, gerechter und auch
bewohnbarer gemacht. So können wir auch Vorbild für unsere Kinder und Enkelkinder sein. Das alles macht mich ganz zufrieden und deswegen blicke ich optimistisch in die Zukunft.

Vielen Dank Richard Bruns!