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Interview mit Stefan Bockemühl

Stefan Bockemühl

Stefan Bockemühl war in der Doppelspitze mit Martin Moritz mehrere Jahrzehnte Geschäftsführer von El Puente. Während er sich selbst gerne als  Hausmeister bezeichnete, lagen seine Aufgaben bei weitem nicht nur darin, den Mitarbeiter*innen den Rücken freizuhalten, sondern unter anderem auch konkret im Import von fair gehandeltem Kaffee.

Stefan, wie und wann bist Du zum Fairen Handel gekommen?

Das war im Jahr 1986 durch einen Zufall. Ich wurde angesprochen und fing kurze Zeit später als Projektreferent bei El Puente an. Zu der Zeit plante El Puente eine große mexikanische Keramikausstellung. So war ich in meinem ersten Arbeitsjahr gleich mehrere Wochen in Mexiko und habe mit den Produzenten gesprochen. Meinen ersten tatkräftigen Arbeitseinsatz hatte ich am 1. Dezember hinter dem El Puente Firmensitz in einer sieben Meter tiefen Kuhle. Dort war der Lehm besonders gut und den brauchten wir für die Ausstellung in München. Bei Minusgraden und Schnee habe ich also erst einmal containerweise Lehm geschaufelt, den wir dann ins Museum in München gefahren haben.

Einer Deiner Schwerpunkte als Geschäftsführer bei El Puente war der Kaffeeeinkauf. Kannst Du uns mehr darüber erzählen?

Als ich bei El Puente angefangen habe, gab es noch keinen Import von Kaffee. Die Mitbewerber machten dies jedoch schon eine Weile und fingen zu dem Zeitpunkt an,  Kunsthandwerk zu importieren. Und so entschloss ich mich, den Kaffeebereich bei El Puente aufzubauen. Ich hatte keine Ahnung von Kaffee und musste mich von Grund auf einarbeiten. Dank der Mitka* und vielen anderen Bekannten ist es uns gelungen, so dass wir mittlerweile ein gutes Standing im Bereich des Fairen Kaffees haben.

Gibt es im Kaffeebereich einen Bestseller?

Das hat ein Stück weit mit Steuerung zu tun. Nachdem ich im Kaffeebereich Erfahrung sammeln konnte, habe ich schnell gemerkt, dass sich der mexikanische Kaffee besonders gut für den Einstieg eignet. Er hat eine natürliche Milde und keine außergewöhnlichen Ausreißer im Geschmack. Darum ist er eine gute Möglichkeit, Menschen von fair  gehandeltem Kaffee zu überzeugen.

Bei Deinen Reisen hast Du auch viele Kaffeekooperativen besucht. Ist Dir dabei eine besonders im Kopf geblieben, deren Engagement oder Arbeitsweise besonders gewesen ist?

Da fällt mir direkt die Reise nach Papua-Neuguinea ein. Der Ort der Kooperative liegt mitten in den Bergen, weit weg von jeglichen infrastrukturellen Möglichkeiten. Die Dorfgemeinschaft hat sich aber überlegt, ihren Kaffeeanbau weiter nach vorne zu bringen. Sie schickten drei der Jugendlichen in die Stadt zur Ausbildung und um Englisch zu lernen. Unterstützt wurde die Kooperative von einem sehr engagierten Bürgermeister. Der Zusammenhalt der Kooperative hat mich begeistert. Immer das Ziel vor Augen: Wir bringen uns nach vorne und tun das selbst, ohne fremde Hilfe. Das hat mich sehr beeindruckt.

Ansonsten trinke ich seit 15 Jahren den El Salvador Kaffee. Die Kooperative ist mir auch in besonderer Erinnerung, weil es dort einen Palaver-Baum gab. Vor über 20 Jahren saßen wir an einem großen Tisch unter dem Palaver-Baum, haben gegessen und diskutiert. Damals ging es um die Frage, ob es sinnvoll wäre, kleine Parzellen für die Bauern zu privatisieren, oder ob man alles in gemeinschaftlicher Hand behält. Die Diskussion ist mir in guter Erinnerung geblieben. Außerdem ist der Kaffee gut und ich denke immer zurück an den Palaver-Baum.

Du hast oft mit den Kaffeebäuer*innen zusammengesessen und gesprochen. Was war bei dem Austausch besonders wichtig?

Wichtig war natürlich immer die Preisgestaltung. Es war schwer zu sagen, was tatsächlich ein auskömmlicher Preis für die Kaffeeproduzenten ist. Ich war immer der Meinung, dass man Verbindlichkeiten schaffen kann. Dass man unabhängig vom Weltmarktpreis einen Fair-Trade-Preis herstellen kann. Es ist über die Jahre nicht gelungen. In dem Moment, in dem der Weltmarktpreis höher war, war das immer die Messlatte. Auch jetzt versuchen wir in Nicaragua solche Treffen zu machen, bei denen es immer noch um den  Preis geht. Das ist das eine Thema. Das andere Thema ist die Landfluchtproblematik. Junge Leute sehen nicht die Möglichkeit, auf dem Land bei den Kaffeeplantagen ihr  Auskommen zu erwirtschaften. Sodass bei vielen Kooperativen immer wieder das Problem auftauchte, dass die jungen Leute in die Städte abgewandert sind.

Du hast den Geschmack von Kaffee mal mit alten Autoreifen verglichen, was steckt dahinter?

Bei jedem Kooperativenbesuch machen wir auch Verkostungen. Als wir einmal mit einer Mitka-Delegation in Nicaragua waren, verkosteten wir auch dort den Kaffee. Es ging darum, die Höhenlagen herauszuschmecken. Wie bei einer Weinverkostung gurgelten und spuckten wir und gaben schließlich unsere Tipps ab. Meine Aussage war: Das schmeckt am schlimmsten nach alten Autoreifen, das kommt von ganz oben. Und ich lag richtig. Das sind natürlich nicht die richtigen Begrifflichkeiten, die habe ich ehrlicherweise bis heute nicht gelernt. Die Qualität von Kaffee kann ich jedoch gut einschätzen und sie beschreiben. Die gebräuchlichen, phantasievollen Begrifflichkeiten, die fallen mir aber nicht wirklich ein.

In Deiner Tätigkeit als Geschäftsführer bist Du generell viel gereist. Was war denn Dein liebstes Reiseland und warum?

Grundsätzlich bin ich immer gerne in die Welt gefahren. Meine beeindruckendste Reise war die nach Papua-Neuguinea. Nach 74 Stunden Fußmarsch bin ich endlich oben in dem abgelegenen Dorf der Kooperative angekommen. Wir wurden herzlich begrüßt. Zu meinem jungen Kollegen, der heute auch noch hier arbeitet, sagten die Kooperativenmitglieder: Dich sehen wir bestimmt nochmal wieder, aber der da schafft es hier sowieso nicht mehr hoch (lacht). Das war ziemlich eindrücklich und eine meiner letzten Reisen.

Du warst auch manchmal in brenzligen Situationen auf den Reisen, oder?!

Im Allgemeinen wusste ich zumindest nichts davon. Bei meiner ersten Reise wohnte ich in Guatemala City in der Zona 1. Kein Mensch hat mir gesagt, dass es da irgendwie  gefährlich sei. Darum habe ich mir auch nichts dabei gedacht. Nachts musste ich allerdings das Hotel wechseln, weil es lautstarke Schlägereien auf der Straße gab. Ich krabbelte also mitten in der Nacht über die schlafenden Menschen auf der Straße und suchte mir ein neues Hotel, ohne mir groß etwas dabei zu denken. Ansonsten war ich gut vorbereitet. Mir wurde gesagt, wie ich mich verhalten soll, wenn ich überfallen werde oder das Nagelbrett auf der Straße liegt. Geld unter die Fußmatte, im Portemonnaie nur ganz wenig. Dann kann man auch gelassen mit solchen Situationen umgehen.

Was waren die größten Herausforderungen, die El Puente in den letzten 50 Jahren meistern musste?

Die größte Herausforderung begann eigentlich gleich, nachdem ich begonnen hatte. Die damalige Geschäftsführung hatte damals den Weltladenbereich quasi für tot erklärt und  sich ganz auf den künstlerischen Markt konzentriert. Meine erste Aufgabe war es, wieder das Vertrauen der Weltläden zu gewinnen. Das war eine große Herausforderung. Ich musste viel herumreisen und erklären, warum es sich lohnt, wieder mit El Puente zusammenzuarbeiten. Außerdem haben wir in den Jahren immer mal wieder Schwierigkeiten finanzieller Art gehabt. Es gab immer wieder Einschnitte, aber ich glaube, das ist in jedem Wirtschaftsunternehmen der Fall. Das ist nicht schön, aber auch nicht lebensbedrohend.

Als Du als Geschäftsführer bei El Puente angefangen hast, hattest Du eine bestimmte Vision?

Da zu der Zeit die wirtschaftliche Situation von El Puente mehr als schwierig war, weswegen ich mich heute auch noch als Hausmeister vorstelle, ging es eher darum, das Schiff wieder zum Laufen zu bringen. Da ging es weniger darum, Visionen zu entwickeln, als die Weltläden wiederzugewinnen und in sicheres Fahrwasser zu kommen.

50 Jahre weitergedacht, wie könnte der Faire Handel im Jahr 2072 aussehen?

In 50 Jahren wird der Faire Handel immer noch eine Begrifflichkeit sein. Wahrscheinlich wird es immer noch Weltläden geben, auch wenn diese sicherlich völlig anders aussehen. Es gibt eine Menge Entwicklungsmöglichkeiten. Die Rolle, die der Faire Handel dann spielen wird, geht hoffentlich mehr in den politischen Bereich, um mehr Sensibilität für faire Bedingungen zu schaffen. Kampagnen in diese Richtung gibt es ja jetzt schon, wie die Initiative Lieferkettengesetz zeigt. Ein genaues Bild von dem, was in 50 Jahren wirklich da sein wird, kann ich nicht geben. Ich glaube aber, dass die Bedeutung des Fairen Handels in der Gesellschaft in den nächsten 50 Jahren noch zunehmen wird.

*Mitka ist die Mittelamerika Kaffee Im- und Export GmbH. Siehe auch Interview mit der Geschäftsführerin Anne Löwisch

Vielen Dank Stefan Bockemühl!